Persönliche Erinnerungen Frauenfußball in der DDR – Bezirk Karl-Marx-Stadt
Zu den ersten Frauenfußballmannschaften gehörte der BSG Motor Mitte Karl-Marx-Stadt. Das Team wurde Ende 1970 (im Monat November) im gleichnamigen Bezirk (Karl-Marx-Stadt) gegründet. Eine der Spielerinnen hörte auf den Namen Martina Geringswald, sie war zum damaligen Zeitpunkt 13 Jahre jung. Für den runden Ball interessierte sie sich bereits sehr früh, daran waren unter anderem die Familie und viele Freunde beteiligt.
Wie für alle befragten Zeitzeuginnen und Übungsleiter war auch für Martin der Spaß am Fußball die treibende Kraft. An eine Art Leistungssport war zu Beginn überhaupt nicht zu denken. Sie ging zu den Spielen, besuchte andere Begegnungen als Zuschauerin und war froh, den neu entdeckten Sport ausüben zu können. Zudem bestätigte Martin ebenfalls, dass in der Anfangszeit hauptsächlich Freundschaftsspiele ausgetragen wurden: 1971 haben wir die ersten Spiele gemacht und die ersten Bezirkspunktspiele gab es 1972, da waren sechs Mannschaften im Bezirk, die beim Pokal mitgespielt haben. Das waren die ersten Spiele, wo wir lange darum gekämpft haben. Davor haben wir nur Freundschaftsspiele gemacht. Später waren es dann mal neun Mannschaften.
Martin war bewusst, dass zeitgleich andernorts in der DDR weitere Mannschaften im Frauenfußball aktiv waren. Bei den Karl-Marx-Städterinnen, die 1971 mit der BSG Wismut eine zweite große Mannschaft als Konkurrenz bekommen sollten, dauerte es nur ein Jahr, bis sie sich erstmals öffentlich den Zuschauern präsentierten. Wie ein Bild des Fotografen Günter Weisflog zeigt, spielten sie schon in ihrem allerersten Spiel vor Tausenden Zuschauern. Dabei gehörte für ihn das schöne Geschlecht auf den Fußballrasen, weil immer mehr Frauen und Mädchen Interesse am Spiel mit dem runden Leder fanden. So auch am zweiten Juliwochenende 1971, wo die Karl-Marx-Städterinnen von Motor Mitte gegen die BSG Pentacon Dresden gewannen.
Anfangs mangelte es weitgehend an Gegnerinnen, die es regelrecht zu suchen galt und oft nur dank Mundpropaganda oder über Bekannte zu finden waren. Für die Punktspiele auf Bezirksebene ab 1972 musste um die Organisation durch den Bezirksfachausschuss gekämpft werden. Doch auch in Eigenregie schafften es die Karl- Marx-Städterinnen von der BSG Motor Mitte früh, sogar internationale Gegnerinnen einzuladen. Nur ein Jahr nach ihrem ersten Spiel empfingen sie die Mannschaft von DFC Krimice aus der Zweiten CSSR-Liga auf dem Dynamo-Sportplatz, der von 1.000 Zuschauern gesäumt war. Zwar ging das Spiel mit 1:8 verloren, aber es ist ein Beleg dafür, dass die erst am Anfang stehenden Frauenmannschaften sich vor den internationalen Damenteams aus den sozialistischen Nachbarländern wie der CSSR oder Polen nicht verstecken mussten.
Für Martin, die bis 1988 als Spielerin aktiv war und Mitte der 1970er Jahre zum Stadtkonkurrenten BSG Wismut Karl-Marx-Stadt wechselte, kam der entscheidene Impuls für eine Weiterentwicklung ihres Sports durch den VI. Verbandstag des DFV der DDR 1974, auf dem erstmals ein Passus zum Frauenfußball diskutiert wurde. Das Niveau der Mannschaften war von Bezirk zu Bezirk sehr unterschiedlich. Aus Sicht von Martin herrschte in ihrem Bezirk ein sehr hohes Niveau, was sich insofern bestätigen lässt, da die Mannschaften des Bezirks an der Bestenermittlung nicht nur teilnahmen, sondern in den ersten beiden Jahren mit den BSGs von Motor Mitte und Wismut Karl-Marx-Stadt auch die Sieger stellten: Bei den anderen Bezirken waren welche, die noch nicht so weit entwickelt waren, das hat sich dann so ergeben. In Dresden war auch schon sehr viel. Als Zweitplatzierter der Bezirksmeisterschaft hätte man auch zur Endrunde fahren können und dort vielleicht den Dritten oder Vierten gemacht, so ungefähr war das Niveau hier am Anfang.
Die Anzahl der Mannschaften im Bezirk stieg in den 1970er Jahren kontinuierlich an. Eine der neu hinzukommenden BSGs war Rotation Schlema. Zunächst, am 10. April 1974, als Frauenmannschaft der Sektion Fußball der BSG Wismust Aue gegründet, erhielten die Erzgebirgsdamen dort nicht die gewünschte Unterstützung und die Mannschaft fiel nach kurzer Zeit wieder auseinander. Als sich fußballbegeisterte Damen und Mädchen in Schlema zusammenfanden, wurde die ursprünglich gegründete Mannschaft dort neu ins Leben gerufen. Die Damen, die überwiegend beim VEB Vereinigte Papier und Kartonfabriken Schlema angestellt waren, konnten die Sektion Fußball und deren Leitung mit ihrer Begeisterung überzeugen und legten den Grundstein für deren Übernahme bei der BSG Rotation Schlema. Der spätere langjährige Trainer Dietmar Männel fasste die Anfänge seiner Damen in einem Test für das zehnjährige Bestehen wie folgt zusammen: Die ersten Spiele gegen andere Vertretungen wurden abgeschlossen und durchgeführt. Viele hohe Niederlagen kennzeichneten den Weg der Mannschaft zu diesem Zeitpunkt. Inserate in der Zeitung bewirkten, dass neue Spielerinnen zu uns kamen. Viele hörten entmutigt auch wieder auf. Es war mehr oder weniger ein „kommen und gehen“
Es war die Sprache von vielen herben Rückschlägen in einer Phase, als noch kein organisierter Spielbetrieb existierte und sich der KFA Annaberg-Buchholz nicht um die Unterstützung der Frauen bemühte. Die Dominanz der spielstärksten Mannschaften aus Karl-Marx-Stadt lag wie ein Schatten über den Erzgebirglerinnen. Außerdem war es – wie anderswo auch – am Anfang gar nicht so leicht, in der näheren Umgebung Gegnerinnen zu finden. Eine Mannschaft in Lößnitz im Kreis Aue hatte sich aufgelöst und Ansätze in Schwarzenberg scheiterten. Folglich mussten die Schlemaerinnen relativ weit reisen, um zu Spielen in Hohndorf, Treuen, Plauen, Falkenstein, Werdau, Glauchau, Zwickau, Vielau und natürlich in Karl-Marx-Stadt zu gelangen. Trotz des zu Beginn niedrigen Spielniveaus seiner Damen, wollte Männel mit der BSG Rotation Schlema etwas bewegen: Ja, zum Anfang, sag ich mal, sie wollten alle und sie konnten nicht. Ich sag das mal einfach so. Es war mehr Spaß. Das war eben die Zeit, das war vielleicht die schwierigste, die mal ordentlich in die Bahnen zu kriegen und dann mal zu erklären, was Fußball eigentlich ist. Da war eigentlich der Hintergrund, die Motivation, dort was aufzubauen.
Im Laufe der Zeit wurde der Frauenfußball in Schlema etwas leistungsorientierter und die Zahl der hohen Niederlagen für die Rotations-Damen ging zurück. Die Mädchen trainierten nun dreimal pro Woche. Hinzu kam ein gewisses Talent, das einige Spielerinnen mitbrachten: Die Spreu in der Mannschaft sonderte sich vom Weizen ab. Eine feste Formation zeichnete sich ab. Die Truppe wurde stärker und erste Achtungszeichen setzte die Mannschaft dann bei für unsere Verhältnisse knappen Ergebnissen gegen Wismut 1:3 und Numerik 1:2. Die erste Reise über die Bezirksgrenze hinaus nach Leipzig zu Chemie 1:5 zeigte trotz der Niederlage, dass wir langsam mitzuspielen begannen.
Etwa im Spieljahr 1977 übernahm Dietmar Männel – als Mannschaftsleiter – gemeinsam mit Gerhard Wahnelt – als Trainer – die Mannschaft. Nach dieser Umstellung wurde das Rotation-Team zunehmend erfolgreicher. Erst mit der Saison 1980/81 hatten sich dann im Kreis Annaberg-Buchholz fünf Frauenmannschaften gebildet, was die weiten Reisewege etwas minimierte. Zu Hause wurde der Platz mit der Kreisklassen- Herrenmannschaft geteilt und es war manchmal schon sehr sehr kompliziert: Mädchen, wenn die dann Schrammen am Knie hatten oder der Oberschenkel aufgerissen war und es sah nicht gut aus, das war schon nicht das Gelbe vom Ei.
Dafür unterstützte der Betrieb die Mannschaft zum Teil finanziell, wenn es darum ging, Trikots, Bälle oder Schienbeinschützer zu bekommen. Denoch war es mitunter schwierig, Spielkleidung und Trainingsutensilien zu organisieren, weil Bestellungen im dezentralen Erzgebirge lange auf sich warten ließen und dabei stets zu hoffen blieb, dass auch die richtigen Größen kamen.
Dementsprechend gab es für 15 Frauen nur drei Trainingsbälle. Trotz dieser und anderer Hürden setzten sich die Trainer in Schlema engagiert dafür ein, ihre Fußballerinnen technisch gut auszubilden. Dafür machten Wahnelt und Männel einen Übungsleiterschein an der Sportschule. Die – wenngleich geringe – finanzielle Förderung ermöglichte es, dass sie zu Auswärtsspielen an die Ostsee oder nach Ost-Berlin reisen konnten. Auch wenn es dafür manchmal galt, früh um vier Uhr in Aue einen Bus zu nehmen, um dann den Zug um 6.06 Uhr von Karl-Marx- Stadt nach Berlin zu bekommen: Der Zug war zehn Uhr und etwas in Berlin, dann haben wir dort Fußball gespielt und sind mit dem Zug abends zurückgefahren und waren dann circa 22 Uhr wieder zu Hause. Wenn Du das heute irgendjemand erzählst, dann sagt der: „Erzähl mal noch so einen Witz“ Dann mussten wir sehen, dass wir überhaupt in den Zug hineinkamen, weil da Massen auf dem Bahnsteig standen. Das war eine schwierige Zeit.
Trotz solcher Reise-, Trainings- und Spielstrapazen überwog bei den Spielerinnen von der BSG Rotation Schlema, aber auch bei den Hohndorferinnen, Zwickauerinnen oder Karl-Marx-Städterinnen in ihrem Bezirk in der 1970er Jahren die Freude am runden Leder. Bis zur Einführung der nationalen Bestenermittlung spielten 29 Mannschaften ganzjährig im Wettkampfbetrieb, der seit 1976 durch Pokalturniere und Punktspiele auf Großfeld und in der Halle ermöglicht wurde. Dominierende Mannschaft in diesem Bezirk blieb bis Anfang der 1980er Jahre die BSG Motor Mitte Karl-Marx-Stadt.